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17121 10202661367815346 5350662151646173074 nIn einer Serie blickt der «Blick» in die Kantone und lässt Schweizer Persönlichkeiten über ihre Heimat erzählen. Heute zeigte die umstrittenste und bekannteste Niqabträgerin der Schweiz, Nora Illi, ihr Zürich.

Von der gelernten Polygrafin aus Uster ZH kennt die Öffentlichkeit nur die ungeschminkten Augen – und ihren Ganzkörperschleier: Nora Illi (30) konvertierte mit 18 Jahren zum Islam. Heute ist Illi die wohl umstrittenste Muslimin der Schweiz. Die Frauenbeauftragte des Islamischen Zentralrats der Schweiz ist verheiratet und hat vier Kinder.

Bis auf Hände und Füsse und den Schlitz auf Augenhöhe komplett verhüllt setzt sie sich in ein Pedalo und erzählt dem Journalisten von ihrer Jugend auf dem Zürichsee. Was sie beschäftigt hat in ihrer Jugend, habe sie mit ihren Kolleginnen auf dem pedalo besprochen.

Nicht nur auf dem Pedalo: Nora Illi schwimmt auch im Niqab

Sie gehe auch gerne baden und schwimmen, erzählt Illi. Das mache sie oft, mit allen Kleidern und dem Schleier - Schwimmen sei ihre Leidenschaft. Auf die Frage, ob der Stoff sie im Wasser nicht behindert, meint Illi: «Nur die Beinfreiheit beim Schwimmen mit dem Nikab ist etwas eingeschränkt, weil sich der Rock im Wasser um die Füsse wickelt.» Den Burkini, einen Ganzkörper-Badeanzug, habe sie schliesslich nicht immer dabei.

Nicht immer so zurückhaltend gewesen

Illi zeigte sich nicht immer so bedeckt in der Öffentlichkeit. Als rebellischer Teenager trug sie kurze Röcke, hörte Punkmusik und schminkte sich. Ihre Grossmutter habe sie an Weihnachten immer ins Grossmünster mitgenommen, erzählt Illi dem «Blick». Sie erinnert sich an ihre Schulzeit in der katholischen Schule am Hirschengraben, die sie ein Jahr lang besucht hat. Am Morgen sei sie mit der S-Bahn in die Stadt gefahren, habe den Mittag am See verbracht und grillierte abends mit Kollegen auf der Chinawiese, rauchte und trank Bier. Sie demonstrierte für Palästina, gegen Israel, entdeckte den Islam und änderte darauf ihr Leben radikal.

Heute höre sie nur noch Korangesänge, sagt Illi weiter und bedauert es, dass es in Zürich keine richtige Moschee gibt. Sie ist der Meinung, ein prächtiger Bau würde sich gut in die Kulisse neben Grossmünster und Fraumünster einfügen.

Schliesslich sagt die mit dem fünften Kind hoch schwangere Illi, sie könne sich als Muslimin hier nicht wirklich zu Hause fühlen, weil die Leute sie ansehen, als sei sie eine Touristin.

Sonntagsblick: Frau Illi, Simonetta Sommaruga will das Familienrecht überarbeiten lassen. Ein Gutachten im Auftrag des Justizdepartements empfiehlt die Einführung der Mehrehe in der Schweiz. Was halten Sie davon? Schliesslich hat Ihr Mann neben Ihnen noch eine weitere Frau.
Nora Illi:
Letzteres ist eine oft gehörte Behauptung. Mein Privatleben bleibt privat. Aber ich fände es absolut konsequent, wenn die Polygamie zugelassen würde.

Warum sind Sie für die Einführung der Mehrehe?
Polygamie hat viele Vorteile. Aber im Islam geht es um Polygynie.

Polygynie – was heisst das?
Polygamie ist eine Beziehung mit mehreren Menschen, das können Männer wie Frauen sein. Polygynie dagegen bedeutet: Ein Mann hat mehrere Frauen.

Das ist doch ungerecht! Warum sollen nur Männer eine Mehrehe führen dürfen?
Im Islam ist das so festgeschrieben. Wenn eine Frau mehrere Männer hat, bringt das Probleme. Man weiss nicht, von wem die Kinder sind. Ausserdem ist es wissenschaftlich erwiesen, dass der sexuelle Trieb von Männern grösser ist als der von Frauen.

Wo sind die Vorteile, wenn man eine von mehreren Frauen ist? Da ist man doch schrecklich eifersüchtig.
Eifersucht liegt in der Natur der Frau, das gehört dazu. Doch der Nutzen einer solchen Beziehung ist grösser als die Eifersucht. Als Frau wird man entlastet.

Entlastet? Wovon?
Vom Haushalt zum Beispiel. Wenn die Frauen und der Mann in einer Wohnung leben, hat man immer jemanden, der einem hilft. Da kann man auch mal sagen: Heute koche ich nicht.

Und wie ist es bei getrennten Wohnungen?
Dann ist der Mann die Hälfte der Zeit bei der anderen Frau. Da hat man Tage, wo man sich nicht schön machen muss. Wo man das Chaos der Kinder liegen lassen kann. Das ist eine Entlastung.

Muss man keine Angst haben, dass der Mann die andere Frau bevorzugt?
Nein. Der Mann muss gleich viele Nächte mit jeder Frau verbringen. Er muss fair sein, auch finanziell. Die Mehrehe ist eine Bereicherung für jede Beziehung, auch für das Sexualleben.

Sie geben bei Facebook als Wohnort Kairo an. Fühlen Sie sich in der Schweiz nicht wohl?
Ich lebe in der Schweiz, bin aber viel im Ausland. Dabei fällt mir auf, dass es hier einen besonderen Hass auf den Islam gibt. Wir Muslime werden in die Ecke gedrängt. Das wird zum Problem.

Die meisten Menschen hier wollen nicht, dass Frauen sich wie Sie komplett verschleiern.
Das Kopftuch gehört zum Islam wie das Gebet. Wir haben hier Religionsfreiheit. Da braucht es mehr Toleranz.

Das Kopftuch will niemand verbieten. Was stört, ist der Ganzkörperschleier.
Da werden Probleme gemacht, die keine sind. Die Feministen sagen, das Burka-Verbot sei zur Befreiung und zum Schutz der Frau. Dabei ist das Gegenteil der Fall.

Viele haben Angst vor dem Islam, vor allem vor gewaltbereiten Salafisten.
Je mehr Türen man uns Muslimen verschliesst, desto mehr schürt man die Aggression. Da erscheint das Leben in einem islamischen Staat verführerisch. Das sieht man bei vielen jungen Leuten, auch bei Mädchen, die davon träumen, nach Syrien zu gehen.

Sie sind Frauenbeauftragte des Islamischen Zentralrats der Schweiz. Warnen Sie Mädchen vor der Reise nach Syrien?
Natürlich kann ich niemandem empfehlen, nach Syrien zu reisen und sich einer Gruppierung wie der ISIS (Islamischer Staat in Syrien und dem Irak; Red.) anzuschliessen, die an Radikalität nicht zu überbieten und auch unter Muslimen umstritten ist.

Lehnen Sie diese Gewalt ab? Auf Facebook liken Sie die nicht weniger radikale Organisation Jabat al Nusra, die al-Qaida nahesteht.
Ich like viel, ich muss wissen, was in solchen Gruppen passiert. Nur dann kann ich reagieren, wenn sich Eltern an mich wenden.

Noch einmal: Teilen Sie deren Gewaltideologie?
Es ist für mich klar, dass der Widerstand in Syrien absolut legitim ist. Das Assad-Regime ist ein brutales Folterregime. Ich kann aus dem islamischen Kontext verstehen, dass es eine Motivation gibt, nach Syrien zu gehen. So lange die Opposition vereint gegen Assad kämpft, kann ich nur dahinterstehen. Krieg ist leider immer blutig und es gibt immer Gräueltaten – auf beiden Seiten.

Was raten Sie Eltern, deren Töchter nach Syrien wollen?
Sie sollten für ihre Kinder Verständnis zeigen. Sie können zum Beispiel einen Deal machen und sagen: Wenn du unbedingt einen Mann heiraten willst, der in Syrien kämpft, dann können wir ihn uns in der Türkei anschauen. Aber ich will, dass du erst die Schule fertig machst.

Sie haben vier Kinder. Tragen Ihre Töchter in der Schule Kopftuch?
Erst eine Tochter geht in die Schule. Das Kopftuch ist – wie gesagt – Teil des Islams.

Sollen Ihre Töchter später einmal den Gesichtsschleier tragen?
Jede Mutter wünscht sich für ihre Kinder das Beste. Der Gesichtsschleier gehört für mich dazu.

blick.ch