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Schleier und Kopftuch haben in den verschiedenen islamischen Frauenbewegungen selbst eine große Rolle gespielt und vielfach Kontroversen ausgelöst. So forderte bereits 1899 der Ägypter Qassim Amin in seinem Buch "Die Befreiung der Frau", das als Grundlagenwerk des arabischen Feminismus gilt, die Entschleierung der Frauen, und Huda Sha´rawi, die Gründerin der Ägyptischen Feministischen Union, legte bereits 1923 in einer spektakulären Aktion öffentlich ihren Schleier ab. Aber von Anfang an gab es in der arabischen Frauenbewegung auch andere Auffassungen, etwa jene, wonach das Ablegen des Schleiers zu neuen Formen der Unterdrückung und Missachtung führe.
Auch ist vor allem von ägyptischen und iranischen Frauenrechtlerinnen schon vor der Zeit der Kolonisierung ein gleichberechtigter Zugang zu Öffentlichkeit und Beruf gefordert worden. Mit dem Kolonialismus wurde ihre Situation jedoch komplizierter, weil die Kolonialherren diese Forderungen ebenfalls aufstellten, die nun von Seiten des heimischen Patriarchats als koloniale diskreditiert werden konnten. Das gilt auch heute noch, wenn der Feminismus generell als eine westliche Ideologie bezeichnet und muslimische Feministinnen des Loyalitätsbruchs bezichtigt werden.
Die Vorstellung, es gäbe "die" muslimische Stimme in Bezug auf das Thema Geschlechterverhältnis, ist ebenso abwegig, wie jene, es gäbe "den" Islam. Die Unterschiedlichkeit der Positionen hängt jeweils nicht nur von der unterschiedlich starken Religiosität ab, sondern hat auch mit unterschiedlichen politischen Einstellungen und ethnischen Kontexten zu tun. So gibt es beispielsweise viele Iranerinnen, die sich vehement gegen das Kopftuch aussprechen, weil sie es mit dem totalitären Regime ihrer Heimat verbinden. Andere wiederum sind von den Auseinandersetzungen zwischen Laizismus und Islamismus in der Türkei geprägt. Schließlich ändern sich auch die Einstellungen angesichts sich wandelnder Lebensverhältnisse. So hat die Religiosität für die zweite und dritte Generation der Einwanderinnen oft eine andere Bedeutung als für ihre Eltern.
Dementsprechend gehen auch die Einschätzungen über das mögliche emanzipatorische bzw. repressive Potential des Islam weit auseinander. Islamische Feministinnen wie etwa Leila Ahmed 6 sehen die Bedeutung des Islam vor allem in seinem ethischen Egalitarismus, der Frauen und Männern dieselbe Würde zuerkennt. Sie sind zwar verschieden, aber gleichwertig. Dementsprechend gibt es klare Rollenabsprachen, die den Frauen und Männern gleichermaßen Rechte und Pflichten auferlegen, die allerdings inhaltlich unterschiedlich sind. Das Prinzip der Geschlechtertrennung und der Grundsatz der Verschiedenheit muss ihrer Meinung nach nicht repressiv sein, wenn die Aufgabenteilung ausgeglichen ist. Für solche reformorientierte Feministinnen, für die Fatima Mernissi 7 ein prominentes Beispiel ist, wurde der Koran aufgrund der über Jahrhunderte vorherrschenden patriarchalen Kultur einseitig übersetzt und interpretiert. Deshalb gelte es, ihn heute neu zu lesen. Demgegenüber gehen radikale Feministinnen davon aus, dass der Koran selbst den Primat des Mannes festschreibe und es deshalb auch nicht genüge, ihn neu zu interpretieren, sondern dass er in Teilen neu formuliert werden müsse.
Dem stehen wiederum islamistische Feministinnen gegenüber, für die der Koran wesentlich auf die Gleichstellung der Geschlechter ausgerichtet ist. In den herkömmlichen Auslegungen sehen

sie die Frauenrechte hinreichend berücksichtigt. Die Probleme liegen ihrer Meinung nach in erster Linie im "Westen". So sind sie davon überzeugt, dass die Unterdrückung der Frauen im Wesentlichen ein Resultat des Kapitalismus und westlicher Ideologie sei. Die Frauen würden hier ausgebeutet und zum Sexualobjekt degradiert und der öffentlichen Belästigung preisgegeben. Sie sehen die Lösung im Islam, da er eine gerechte Ordnung verspreche.
Diese verschiedenen Positionen sind unter anderem Ausdruck der vielfältigen Auseinandersetzungen zwischen Reformkräften und Traditionalisten innerhalb des Islam, die vom Westen kaum zur Kenntnis genommen werden. Für viele ist Religion und Emanzipation ohnehin per se ein Widerspruch. Das gilt für sie auch für das Christentum. In diesem Fall müssten jedoch auch die säkularen Ideologien auf den Prüfstand gestellt werden. Und hier zeigt sich, dass säkulare Positionen in Politik, Wissenschaft und Alltag keineswegs ein Garant für Geschlechtergerechtigkeit sind - im Gegenteil: In der Regel ist die Ungleichheit der Geschlechter auch in diese eingeschrieben. Insofern kann der Säkularismus als solcher nicht die Lösung sein, sondern es gilt, sich mit den patriarchalen Ideologien in all seinen Erscheinungsformen auseinanderzusetzen. Das bedeutet wiederum, dass einfache Polarisierungen unangemessen sind. Deshalb soll abschließend gefragt werden, welche Funktionen solche Polarisierungen möglicherweise haben.

 

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6 Vgl. Leila Ahmed, Women and Gender in Islam Historical Roots of a Modern Debate, New Haven 1992.
7 Vgl. Fatema Mernissi, Der politische Harem. Frankfurt/M. 1989; dies., Die Angst vor der Moderne, Hamburg 1992.

 

 

Quelle: http://www.igd-online.de